In der zu verteidigenden Zone

Ganz Frankreich ist noch im Hollande-Fieber. Ganz Frankreich? Nein! Ein von unbeugsamen “Zadisten” bevölkerter Ort im Nordwesten des Landes hört nicht auf, Widerstand zu leisten – gegen das Vorzeigeprojekt der neuen sozialistischen Regierung, den geplanten Flughafen-Neubau in Notre Dame des Landes bei Nantes. Nun werden die Protestcamps in der Zone à Defense, der zu verteidigenden Zone, mit Hilfe des Militärs geräumt. Eine Reportage.

Aus Notre Dame des Landes Susanne Götze

An einer Weggabelung mitten im Nirgendwo stehen leere Tische und Stühle, niemand ist zu sehen. Plötzlich taucht der erste “Zadist” auf. In der einen Hand hat Marcel eine Heugabel, mit der anderen schiebt er ein Tandem. Marcel geleitet Besucher ins nahegelegene “Sabot” – einen der dreißig Stützpunkte der Flughafenbesetzer. Kein leichter Weg. Der Boden ist schlammig, überall liegen Bretter, Drähte, Autoreifen und sonstiger Müll. Das Sabot – wörtlich übersetzt: Schuh – ist ein Ort wie aus Henry David Thoreaus Roman “Walden oder Das Leben in den Wäldern”. Eine ausgebaute Laube, vor der sich ein riesiger Garten erstreckt. “Die Ernte können wir nun vergessen”, sagt Lisa. “Das Tränengas hat uns den Boden und das Gemüse zerstört.” In der vergangenen Woche gingen vier Stunden lang hunderte Tränengasbomben auf den Gemeinschaftsgarten nieder. Lisa lebt hier seit sieben Monaten.


Polizei und Militär sind beim Räumen nicht zimperlich. Abgebranntes Camp. (Foto: Adrien Tasic)

Lisa ist Anfang 30, sie kommt aus dem Rheinland. Ins ZAD – in die Zone à Defense, die zu verteidigende Zone – kam sie eher durch Zufall und ist dann “hängengeblieben”. Geld, sagt sie, hat sie zwar keines mehr, aber im Sabot komme man mit sehr wenig aus. “Hier habe ich gelernt, wie man Ackerbau betreibt, Gemüse anbaut und sich fast vollständig selbst versorgt – wir sind zu 80 Prozent autonom.” In der Laubenküche sitzt das Sabot-Kollektiv. Es wird Gemüsesuppe gekocht, Kaffee getrunken, geraucht und diskutiert. “Der Flughafen ist nur ein Symbol”, sagt Lisa, “uns geht es um viel mehr.” Kapitalismus, das ist für die Zadisten ewiges Wachstum, Konsum, Druck, Schnelligkeit – kurz: ein Wahnsinn für Mensch und Natur. “Hier soll nicht nur das ZAD-Gelände zubetoniert werden”, erklärt Lisa, “es geht auch um den Bau von Hochgeschwindigkeitstrassen, Straßen und Einkaufszentren – alles, was das System am Laufen hält.” Dagegen wollen die Besetzer ein Leben der Selbstbestimmung, Autonomie und der Gemeinschaft setzen.

Während Frankreich noch immer im Hollande-Fieber ist, leistet das von den unbeugsamen Zadisten bewohnte Gebiet im Norden von Nantes Widerstand. Auf die Sozialisten ist hier niemand gut zu sprechen. “Schlimmer als Sarko”, “alles eine Clique”, so sehen die ZAD-Bewohner den neuen französischen Präsidenten François Hollande und seine Partei, die Sozialisten. In der ZAD leben auf 1.600 Hektar Land rund 200 Gegner des Vorzeigebauprojekts der neuen Regierung – des Großflughafens Notre Dame des Landes. Die Planungen gehen bis auf die 1960er Jahre zurück. Der neue Flughafen soll den bisherigen Airport Nantes-Atlantique ersetzen, für 2013 ist der Beginn der Bauarbeiten geplant.

Doch noch ist das Projekt nicht ganz durch. Auf dem Gelände des Baukonzerns und Flughafenbetreibers Vinci geht so einiges vor sich: Barrikaden, Straßenkämpfe, Tränengas, Räumungen. In den letzten zwei Wochen waren hunderte Militärs und Polizisten im Einsatz. Ende des Jahres sollen nach Regierungsplänen die ersten Bagger und Planierwalzen anrücken. Derzeit ist das idyllische Stück Erde jedoch noch so still und abgelegen wie eh und je.

Eine von vielen Barrikaden rund um Notre Dame des Landes. (Foto: Adrien Tašić)

Von der bretonischen Stadt Nantes aus nähert man sich über kleine verschlafene Dörfer. Es gibt keinen Eingang, keine Grenzlinie, aber schnell merkt man, dass hier etwas nicht stimmt. Zwar stürzen keine wilden Gallier mit Holzknüppeln aus dem Dickicht der Straßenböschung, doch nach den ersten Kilometern in der Zone tauchen schon Barrikaden auf. Sie versperren vor allem die Seitenarme der Hauptstraße und wollen so gar nicht in die malerische Landschaft passen. “Stop l’aéroport” (Stoppt den Flughafen) ist auf Straßen, Häuser, Schilder gesprüht, “ralentir” (verlangsamen) oder auch: “Être des cons pressé ou être décompresser” (Entweder ein gestresster Idiot sein oder relaxen).

Seit 40 Jahren schon wehren sich die Bewohner gegen die Pläne, auf den malerischen Wäldern, Wiesen und Ackerflächen Landebahnen und Terminals zu bauen. Die ersten Aktivisten und Besetzer von außen kamen dann 2007. Was jahrzehntelang am Widerwillen der Anwohner und an finanziellen Engpässen scheiterte und unter Präsident Nicholas Sarkozy abermals verschoben wurde, soll nun unter der neuen Regierung Hollande endlich umgesetzt werden.

Gegen das zwei Milliarden Euro teure Projekt wird aber nicht mit herkömmlichen Methoden protestiert. Statt nur Demonstrationen zu organisieren, Unterschriftenlisten oder Flugblätter zu verteilen, haben sich die Gegner des Projektes auf dem Terrain eingelebt – etwa so wie die Occupy-Aktivisten, nur mit mehr Ausdauer. Sie wohnen in Wohnwagen, Bauhäusern und auf verlassenen Gehöften.

Auch wenn die Zone komplett dezentral organisiert ist und jede Zelle ihre eigenen Regeln hat, werden gemeinsam Demos, Versammlungen und Konzerte organisiert. Auch ein Theater soll es gegeben haben, bevor die Polizei das Gebäude zerstörte. Eine kollektive Radio-AG hat die Frequenz des Unternehmensradios Vinci “gesquattet” – die Frequenz wird sonst von Autofahrern empfangen, da Vinci neben Flughäfen auch die Autobahnen in Frankreich betreibt. Im ZAD-Radio Klaxon laufen alte Aufnahmen von Brecht-Liedern: “Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug”. Die Stimmung im ZAD ist trotz endlosem Regen, Schlamm und Kälte entschlossen. In der Vacherie, einem Ort für Neuankömmlinge und geräumte Zadisten, ist die Lage dennoch leicht angespannt. Niemand weiß, wann die Polizei wieder kommt, wen sie als nächstes räumt, festnimmt oder welche Strafen sie verhängen wird. Allein das Sabot sitzt derzeit schon auf 1.500 Euro Strafen.

Der nächste Morgen. Dicke, graue Wolken ziehen am Himmel, es nieselt leicht. “Heute ist gutes Wetter”, meint Sam, der gerade aus der Gemeinschaftsküche der Vacherie stolpert. Seit Wochen habe es nur geregnet, alles sei durchnässt. Sams Gummistiefel sind voll braunem Schlamm. Um sich ein wenig zu wärmen, geht er rüber zum gemeinsamen Lagerfeuer, das hier rund um die Uhr vor sich hin fackelt. Küche, Feuer, Waschzuber und Wäscheausgabe – alles unter dem Vordach der alten Scheune. In der “Küche” türmen sich Kochutensilien, in der Mitte stehen Kisten voll frischem Gemüse der Saison: Kartoffeln, Karotten, enorm große Zucchini und Kürbisse.


Anlaufstelle für Neuankömmlinge oder geräumte Zadisten: die Vacherie. (Foto: Adrien Tašić)

Wo jetzt rund 30 junge Leute campen, stehen sonst die Maschinen des Besitzers, der ihnen Platz gemacht hat. Die 80-jährige Mann hat eigentlich nicht viel mit Hausbesetzern, Autonomen oder Umweltschützern am Hut. Doch auch er soll geräumt werden – das schweißt zusammen. Der alte Bauer habe sogar schon mit seinem Trecker Baumstämme für die Barrikaden herangeschafft, erzählt Sam.

Der 27-jährige Franzose ist wie viele hier erst vor ein paar Wochen zu den Besetzern gestoßen. “Unsere Körper sind das Einzige, was wir denen entgegenstellen können”, erklärt er. “Auch wenn ich nicht hier geboren oder aufgewachsen bin, will ich dieses Stück Erde bis zum Schluss verteidigen.” Er sei hier, um wie Lisa aus dem Sabot zusammen mit den anderen Zadisten eine Alternative zum Kapitalismus aufzubauen: zeigen, wie es anders geht, ohne Geld und in Gemeinschaft alles teilen.

Nachbarin Marie sieht das ein wenig anders. Die Angestellte ist Ende dreißig und hat eigentlich keine Lust, “alles zu teilen”, ohne Geld zu leben und ihr Privateigentum aufzugeben: “Ich brauche meinen Komfort und könnte nicht in Wohnwagen oder Baumhäusern leben”, meint sie beim abendlichen Rotwein vor ihrem Kamin. Sie wohnt im Gegensatz zu Sam und Lisa schon seit 20 Jahren hier und ist mit Land und Leuten verwurzelt. “Trotzdem habe ich von diesen engagierten jungen Leuten eine Menge gelernt”, sagt Marie. Zwar wohnt sie noch “ganz normal” in ihrem Bauernhaus, doch bei ihr gehen die Besetzer ein und aus: Wäsche waschen, Werkzeug ausleihen, duschen oder einfach nur auf ein gutes Glas Wein.

Marie hat gegen die Räumung geklagt und hofft, das Unvermeidliche noch einige Monate aufschieben zu können. Im Garten von Maries kleiner Familie steht ein riesiger Wohn-Lkw. Dort wohnen nun fünf Zadisten. Hinter dem Garten liegt ein Feld, dahinter ein kleines Wäldchen. Dort leben die Aktivisten in Baumhäusern. Auch hier wurde schon geräumt und das Gemeinschaftsbaumhaus abgerissen.

“Die Zadisten haben mir beigebracht, die Dinge etwas lockerer zu sehen – und ich habe ihnen das Weintrinken angewöhnt”, sagt sie und lächelt verschmitzt. Ganz am Anfang sei das Zusammenleben nicht ganz so einfach gewesen. Beide Seiten hätten erst aufeinander zugehen müssen. Mittlerweile könne man sich das Leben aber gar nicht mehr ohne einander vorstellen, meint Marie. “Es liegt gerade etwas in der Luft hier und die Leute rücken noch enger zusammen.”


(Foto: Adrien Tašić)

Kaum haben die Polizisten ein Haus mit Gewalt geräumt, niedergebrannt oder einen Wohnwagen zerstört, wird gleich der nächste Platz besetzt. Seit den Räumungen habe sich die Zahl der Besetzer in der Zone à Defense nicht verringert, sondern erheblich erhöht, erklären Lisa vom Sabot und ihre Mitstreiter. “Ich hoffe, dass noch viele Leute aus ganz Europa kommen.” Wie lange die besetzte Zone noch dem staatlichen Druck standhalten wird, weiß auch in der ZAD niemand. Klar ist nur, dass der Winter hart wird und die Zadisten mehr als einen Schluck vom gallischen Zaubertrank brauchen, um durchzuhalten.

Source : http://www.klimaretter.info/protest/hintergrund/12285-in-der-zu-verteidigenden-zone

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