Breiter Widerstand gegen Großprojekt Aéroport du Grand Ouest
Frankreich schaut auf Notre-Dame-des-Landes
Foto: John Jordan CC-BY-SA-3.0
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)
Der Widerstand gegen den Bau eines Großflughafens, der 30 Kilometer nordwestlich der französischen Stadt Nantes mitten in eine uralte bretonische Kulturlandschaft gesetzt werden soll, dauert seit vielen Jahren an. Seit der schlußendlichen Genehmigung des Aéroport du Grand Ouest im Jahr 2008 haben die Aktivitäten der Flughafengegnerinnen und -gegner allerdings Ausmaße angenommen, die allein schon von der breiten Mobilisierung wie der Vielfalt der Aktionsformen her als vorbildhafter Versuch für den strategischen Einsatz so simpler wie phantasievoller Mittel zur Verhinderung eines infrastrukturellen Großprojekts gelten können. Selbst wenn der Bau letztendlich nicht verhindert werden könnte, so wäre das rund um die Gemeinde Notre-Dame-des-Landes entstandene Experiment zwischen widerständigem Basisaktivismus und kollektiver Lebensweise von bleibendem Wert für andere soziale Kämpfe im Schnittpunkt von ökologischer Zerstörung und neoliberaler Austeritätspolitik. Wie in diesem zur historischen Bretagne gehörenden Ort heute häufig an den jahrelangen und 1981 letztlich erfolgreichen Kampf gegen den Ausbau eines militärischen Übungsgeländes in der im französischen Zentralmassiv gelegenen Region Larzac erinnert wird, an dem bis zu 100.000 Aktivistinnen und Aktivisten aus aller Welt teilhatten, so wurden und werden auch im Widerstand gegen die schon seit Mitte der 1960er Jahre geplante Errichtung dieses Flughafens Erfahrungen und Erkenntnisse sozialer Selbstorganisation gemacht, die die Unterstellung, die Gesellschaft funktioniere im staatlich verfügten Gegeneinander miteinander konkurrierender Marktsubjekte, auf beeindruckende Weise widerlegt.
Es ist keinesfalls übertrieben zu sagen, daß im Umfeld dieses kleinen, knapp 2000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Ortes im Département Loire-Atlantique Welten aufeinanderprallen. Der Bau des Aéroport du Grand Ouest inmitten der ländlichen Idylle dieser von agroindustriellen Verwüstungen noch weitgehend unbehelligten Landschaft soll die jährliche Passagierzahl des Nantes Atlantique Airport von über 3 Millionen Reisenden zuerst auf 4 Millionen steigern, um bis zum Jahr 2050 auf neun Millionen Fluggäste im Jahr zu kommen. Die Gegner des Neubaus machen geltend, daß der bestehende Flughafen nicht einmal ausgelastet sei und bei Bedarf eine zweite Landebahn gebaut werden könnte. Letzteres bestreiten die Planer des neuen Flughafens, indem sie behaupten, dies wäre aufgrund der Nähe zur Stadt Nantes nicht machbar.
Schon der zeitlich weitgespannte Planungshorizont verrät, daß es sich bei dem Flughafenprojekt um das logistische Kernstück eines wirtschaftspolitischen Entwicklungsvorhabens von großräumlicher Dimension handelt. Geplant als westeuropäischer Luftfahrt-Hub soll der Flughafen die an der Loire gelegene Metropolregion Nantes-St. Nazaire für den internationalen Luftverkehr erschließen. Eingebettet in das Clusterprogramm Pôles de compétitivité sollen in der industriell als unterentwickelt geltenden Atlantikregion innovative Wachstumskerne initiiert werden, um die nicht zuletzt die in der Region traditionell starke maritime Rüstungsindustrie zu fördern. Mit Standortvorteilen Investitionen anlockende und die Ansiedlung neuer HighTech-Industrien bezweckende Qualifzierungsoffensiven dieser Art verschärfen jedoch in der Regel die sozialen Widersprüche in der davon betroffenen Bevölkerung. Während die Region auf die Interessen der hochmobilen internationalen Businesselite und die Kernbelegschaften der Ingenieure und Facharbeiter ausgerichtet wird, wächst der Ausgrenzungs- und Verarmungsdruck auf all jene, die sich in den Clustern globaler Spitzenproduktivität bestenfalls als gering entlohntes Servicepersonal verdingen können.
2008 hat die französische Regierung den Bau des derzeit auf 580 Millionen Euro Kosten taxierten Flughafenprojekts genehmigt und den transnationalen Konzern Vinci im Rahmen eines Public Private Partnerships mit seiner Ausführung beauftragt. Von besonderer Bedeutung für die politischen Umstände, unter denen diese Entscheidung zustandekam, ist die Rolle des langjährigen Bürgermeisters der Stadt Nantes, Jean-Marc Ayrault. Da der amtierende Premierminister Frankreichs seine politische Karriere eng mit der Realisierung des Projekts verknüpft hat, könnte die aktuelle Regierungskrise, in der sein Kabinett steckt, Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Ereignisse haben. Die Regierung unter Präsident François Hollande ist nicht nur durch mehrere Skandale stark angeschlagen, sie stößt auch mit dem Versuch, das neoliberale Sparregime der EU durchzusetzen, auf immer mehr Widerstand in der französischen Bevölkerung. Da der Bau des geplanten Flughafens ein Vorzeigeprojekt für die weitere Ökonomisierung aller Bereiche des sozialen und gesellschaftlichen Lebens ist, könnte auch der antikapitalistische Charakter des Widerstands zusätzliche Dynamik erhalten.
Foto: John Jordan CC-BY-SA-3.0
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1973 formierten sich mehrere Landwirte der Region zur Association de Défense des Exploitants Concernés par l’Aéroport (ADECA). Sie konnten jedoch nicht verhindern, daß die im Einzugsbereich des geplanten Flughafens liegenden Gemeinden Notre Dame des Landes, Heric, Vigneux des Bretagne, Grandchamps und Trellieres dem Vorhaben der französischen Regierung zustimmten. 1974 wurde das gesamte dafür vorgesehene Territorium vom Präfekten des Verwaltungsbezirks Loire-Atlantique zur “Zone d’Aménagement Différé” (ZAD) erklärt. Im technokratischen Klang dieses etwa als “Zone für Sonderentwicklung” zu übersetzenden Bürokratenjargons verbirgt sich ein administrativer Machtanspruch, mit dem der Staat ein Vorkaufsrecht für den Grund und Boden beansprucht, der angeblich für höhere nationale Zwecke vorgesehen ist. Dabei ist es auch geblieben, obwohl das Flughafenprojekt im Rahmen der krisenhaften Wirtschaftsentwicklung der zweiten Hälfte der 1970er Jahre keine weitere Beachtung mehr fand.
Als im Juli 2000 eine Concorde kurz nach dem Start vom Pariser Flughafen Charles-de-Gaulle auf ein Hotel stürzte, wobei alle 109 Insassen sowie vier Anwohner starben, wurden die Pläne für den Bau eines neuen internationalen Flughafens von keinem Geringeren als dem heutigen Premierminister Ayrault wieder aus der Schublade gezogen. Dies stieß unmittelbar auf den Widerstand der dort lebenden Bevölkerung, die sich neben der wiederaktivierten ADECA in der Association Citoyen Intercomunale Concerne Par L’aeroport (ACIPA) organisierte. Diese machte unter anderem Einwände gegen den zu erwartenden Fluglärm geltend, während Umweltgruppen Bedenken gegen die Beeinträchtigung des Grundwassers und die Zerstörung der Feuchtgebiete durch die Versiegelung des Bodens erhoben. Bäuerliche Verbände beklagten die Vernichtung wertvollen Ackerlandes und Bürgerorganisationen empörten sich über die Verschwendung von Steuergeldern für einen Flughafen, der aus ihrer Sicht völlig überflüssig war. Durchgesetzt wurde die Ausführung des Projekts 2008 per Dekret, indem der Staat Handlungsnotstand reklamierte und sich damit das Vorrecht für die Enteignung privaten Landbesitzes sicherte.
Im August 2009 fand in Notre-Dame-des-Landes ein Klimacamp auf dem Gelände des geplanten Flughafens statt, das zum Ausgangspunkt eines breit angelegten, lokale Einwohner und Landwirte ebenso wie sozialökologische und autonome Gruppen einbindenden Widerstands wurde. Der behördliche Ausnahmezustand der permanenten Vertreibungsdrohung wurde in La ZAD, die “Zone A Défendre”, zur streitbaren Gegenposition umgewidmet. Sie hat seitdem den Charakter eines dauerhaften Protestcamps angenommen, das sich über ein Gelände aus Wald, Wiesen und Feldern von rund 1650 Hektar erstreckt. Im Frühjahr 2011 hatte eine Gruppe von mehr als tausend Aktivistinnen und Aktivisten, organisiert von der internationalen Organisation Reclaim The Fields (RTF), die eine antikapitalistische Form der Landwirtschaft verwirklichen will, ein Stück Land mitten in der Zone besetzt und kurzerhand in eine Gemüsefarm umgewandelt. Das Anwesen wurde Le Sabot getauft, frei nach dem französischen Wort “Sabot” für einen Holzschuh, der, in eine komplexe Maschinerie geworfen, die Produktion sabotiert.
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Von dort aus griff die Besiedlung der Zone immer weiter um sich. Sie wurde nicht nur besetzt, sondern die neuen Bewohnerinnen und Bewohner errichteten auch eine Vielzahl von Hütten und Blockhäusern zum Leben und Arbeiten. Sie kletterten auf die Bäume des Waldes Rohanne und verankerten Plattformen und Hütten in ihren Wipfeln, um sie gegen die angekündigte Abholzung zu schützen. Sie bewirtschafteten das Land mit unterschiedlichen Methoden des organischen Landbaus oder der Permakultur, stellten Windräder für die Stromversorgung auf, betrieben Küchen und Bäckereien, richteten eine Bibliothek und ein Piratenradio ein und veranstalteten Workshops, in denen nützliche Kenntnisse über das Weben von Wolle, den Anbau von Feldfrüchten und andere Fähigkeiten vermittelt wurden, derer es bedarf, um mit einem Minimum an industriellen Produkten eine kollektive Selbstversorgung zu organisieren. Sie versammelten sich zu großen Gesprächskreisen, in denen die nächsten Aktionen geplant und Konflikte geschlichtet wurden, und feierten Feste mit der einheimischen Bevölkerung und zahlreichen angereisten Unterstützerinnen und Unterstützern.
Fotos: Pan CC-BY-SA-3.0
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Dabei verlief die Zusammenarbeit zwischen den radikalökologischen Squattern, die im Kampf mit den Behörden auch auf militante Aktionsformen setzten, und den lokalen Flughafengegnerinnen und -gegnern, die eher die politische Intervention bevorzugten, keineswegs immer spannungsfrei. Obwohl die Region eine lange Tradition des bäuerlichen Widerstands gegen die Bevormundung durch die französische Zentralregierung besitzt, fürchteten die Einheimischen eine Kriminalisierung ihres Widerstands durch derartige Aktionen. Dazu trug auch die für den Flughafenbau eingespannte Berichterstattung großer, eng mit Kapitalinteressen liierter Verlagskonzerne bei, die die Gegnerinnen und Gegner des Projekts rundheraus als linksradikal und anarchistisch zu diffamieren versuchten. Erschwerend hinzu kamen ideologische Differenzen etwa zum Thema Tierhaltung, Fleischverzehr, Landwirtschaft oder das Fällen von Bäumen durch einheimische Bauern, um Barrikaden gegen die Polizei zu errichten. All das sollte sich allerdings ändern, als der Staat die Zone unter massivem Einsatz von Gewalt im Oktober 2012 räumte.
Was die einen bis dahin als ein soziales Laboratorium der postkapitalistischen Gesellschaft begriffen, wirkte auf andere als Zustand anarchischer Rechtlosigkeit. Behörden- und Regierungsvertreter beklagten sich darüber, die Zone nur unter Polizeischutz befahren zu können, und strebten die Beendigung eines gut zwei Jahre anhaltenden Zustands relativer Friedfertigkeit an. Am 16. Oktober 2012 war es soweit – rund 1200 Polizeibeamte, bewaffnet mit Tränengaswerfern, Schockgranaten, Bulldozern und Räumgerät aller Art, traten an, um La ZAD nicht nur einzunehmen, sondern alles, was zur Besetzung mühsam herangekarrt worden war, restlos zu zerstören. Die bei dieser und anderen Operationen in der Zone eingesetzten Beamten gehören den Compagnies Républicaines de Sécurité (CSR) an, eine für ihre rabiate Vorgehensweise berüchtigte Bereitschaftspolizei des Innenministeriums, wie der Gendarmerie Mobile, eine ebenfalls zur Aufstandsbekämpfung vorgesehene Truppe, die zwar traditionell Teil der französischen Streitkräfte ist, seit 2009 jedoch als militärische Komponente des Innenministeriums Aufgaben der nationalen Sicherheit übernimmt. Der Name der “Operation Caesar” war Programm – wie der römische Eroberer Galliens mit Legionen, die die Suprematie des Imperiums mit ihrer hierarisch hochorganisierten Ordnung nicht besser hätten verkörpern können, den Wildwuchs autochthonen Eigensinns niedermachte, so marschierten für den sozialen Aufstand ausgebildete Robocops durch dunstige Feuchtwiesen und neblige Wälder, um eine aufblühende utopische Lebensform zunichte zu machen.
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Trotz erbitterten Widerstands der Zadistas, die versuchten, die vordringende Polizei vor allem durch Straßenblockaden aufzuhalten, wurden innerhalb von zwei Tagen drei Viertel der rund 30 besetzten Orte in der Zone geräumt. Dies erfolgte unter dem Einsatz tausender Tränengasgranaten, die auch einen Gutteil des Gemüses, das auf einem stark beschossenen Platz zur Verteilung vorgesehen war, ungenießbar machten. Dennoch war die Räumung für die Behörden nur ein bedingter Erfolg, führte die Gewaltanwendung der Polizei doch zu zahlreichen Solidaritätsaktionen und -demonstration in ganz Frankreich. Autobahnbrücken wurden mit Grafitti und Bannern verziert, der Baukonzern Vinci wurde Ziel diverser Protestaktionen, ein Studio des nationalen Radios wurde besetzt und eine Protestnote verlesen, ein Straßentheater zelebrierte das Bündnis von Staat und Kapital in Form der Heirat von Hollande und Vinci, Fensterscheiben einiger Büros der Parti socialiste gingen zu Bruch.
Die Räumung führte dazu, daß sich in vielen Städten neue Unterstützergruppen bildeten, so daß La ZAD inzwischen über ein Netzwerk von rund 200 Komitees verfügt, die sich an der Mobilisierung des Widerstands beteiligen und Hilfsleistungen aller Art zur Verfügung stellen. Zudem begann sich der Wind in vielen Medien zugunsten der Zadistas zu drehen. Wohl auch inspiriert von der anwachsenden Opposition in Frankreich gegen die neoliberale Offensive der Regierung Hollande erinnerte man sich des Erfolgs des gemeinsamen Widerstands örtlicher Bauern und metropolitaner Linken in Larzac. Hatte damals der frischgewählte sozialistische Präsident François Mitterrand die Notbremse gezogen, so könnte sich heute sein Parteigenosse Hollande vor eine ähnliche Wahl gestellt sehen, wenn die Proteste weiter in der bisherigen Stärke anhalten.
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Und daran bestehen bislang wenig Zweifel, planen die Zadistas doch ihre Aktionen mit großem strategischen Geschick. So wurde schon zwei Jahre vor der absehbaren Räumung nicht nur darüber nachgedacht, wie man am Tag X zu verfahren hätte, sondern vor allem darüber, was zu tun wäre, nachdem die in jedem Fall übermächtige Staatsgewalt ihren Willen durchgesetzt hätte. Man setzte sich eine Frist von vier Wochen, um die Wiederbesetzung zumindest einzelner Teile der Zone zu bewerkstelligen. In kurzer Zeit wieder die Initiative zu ergreifen, erschien offensichtlich als das beste Mittel, um zu verhindern, daß die erlittene Niederlage zu einer dauerhaften Defensive führte. So entschied die rund 150 Menschen umfassende zentrale Versammlung der Zadistas, nur Gebiete wiederzubesetzen, die sich noch nicht rechtlich im Besitz der Flughafenbetreiber befanden, so daß zumindest ein gewisses Ausmaß an Rechtsschutz für die Aktivistinnen und Aktivisten vorhanden war. Ein zur Abwehr polizeilicher Informanten geschlossener Kreis von Bauern und Aktivisten wählte einen Ort aus, der sich noch im Besitz eines der rund hundert Landwirte befindet, die sich gegen ihre Enteignung zur Wehr setzen.
Was die Zadistas wohl kaum minder überraschte als die das Geschehen aufmerksam beobachtende Öffentlichkeit, war der große Mobilisierungserfolg, den das Netzwerk der Unterstützergruppen für die geplante Wiederbesetzung erzielt hatte. Zwischen 30.000 und 40.000 Menschen beteiligten sich daran, am 17. November in einer konzertierten Massenaktion neue Gebäude auf dem ausgesuchten Platz zu errichten. Die öffentlich angekündigte Demonstration, die eine Länge von fünf Kilometern erreichte, verwandelte sich am Ort des Geschehens in einen Schwarm emsiger Arbeiterinnen und Arbeiter, die innerhalb kurzer Zeit die zu einem Gutteil aus zweckentfremdeten Transportpaletten gefertigten Bauteile für ein Versammlungsgebäude, eine Werkstatt, eine Küche, zwei Schlafstätten und weitere Räumlichkeiten wie Toiletten und Duschen installierten. Wer nicht direkt an der Konstruktion mitarbeitete, beteiligte sich an Menschenketten, die die erforderlichen Materialien über Hunderte von Metern von den Hängern der Traktoren bis zu ihrem Zielort transportierten.
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Zwei Tage später war der neue Ort, von dem aus die weitere Wiederbesetzung organisiert werden sollte, fertiggestellt und wurde auf den Namen “La Chât-teigne” getauft. Die Antwort der Behörden ließ nicht lange auf sich warten – schon wenige Tage später, am 23. November, kam es zu einem Großangriff der Polizei auf die erneut besetzten Gebiete der Zone. Zwar zog sie sich letztendlich wieder zurück und beschränkte sich darauf, den Zugang zur Zone durch Straßensperren und Personenkontrollen zu regulieren, doch ließ ihr nun deutlich brutaleres Auftreten, bei dem neben Tränengas und Schockgranaten auch sogenannte Gummigeschosse zum Einsatz kamen, eine Strategie der Einschüchterung erkennen. Die über hundert Verletzten auf Seiten der Aktivistinnen und Aktivisten waren auch Ergebnis der Polizeipraxis, diese der Auflösung größerer Ansammlungen dienenden Waffen direkt auf die Menschen abzufeuern, anstatt, wie vorgesehen, über ihre Köpfe hinweg in die Luft zu zielen. Die Schrapnellwirkung der Schockgranaten kann zu schwer zu behandelnden Verletzungen führen, dringen die zum Teil bis zu einem Zentimeter langen Bruchstücke doch tief in die Haut ein, so daß durchaus die Gefahr besteht, daß sie lebenswichtige Gefäße und Organe verletzen.
Bei dieser Auseinandersetzung kam es zu mindestens 80 Verhaftungen, bei denen Schnellgerichte Geld- und Bewährungsstrafen verhängten, die mit dem Verbot verbunden waren, die fünf um La ZAD liegenden Gemeinden nicht mehr zu betreten. Eine größere Zahl von Strafverfahren steht jedoch noch aus, und mindestens zwei Personen wurden bereits zu Haftstrafen verurteilt. Dennoch scheint die bis heute letzte größere Polizeioperation die Besetzerinnen und Besetzer eher noch stärker zusammengeschweißt zu haben. So soll der Dissens über militante Aktionsformen zwischen den radikaleren Gruppen und den einheimischen Aktivistinnen und Aktivisten beigelegt worden sein, wie auch die Unterstützung durch sozialökologische Gruppen in ganz Frankreich zugenommen hat. Mitte Dezember trafen sich bis zu 400 Vertreter dieser Unterstützungskomitees in Notre-Dame-des-Landes und berieten, wie die Verhinderung des Flughafenbaus künftig organisiert werden soll.
Foto: John Jordan CC-BY-SA-3.0
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Der dem rechten Flügel der PS angehörende Innenminister Manuel Valls, von dem es hieß, daß er die Angriffe auf La ZAD höchstpersönlich leitete, hatte erklärt, die Operation diene dazu, ein “Geschwür am Wachsen zu hindern”, wäre das neue Basislager in La ZAD doch dazu vorgesehen, von dort aus gewaltsame Aktionen gegen die Polizei vorzunehmen. Gleichzeitig jedoch ließ die Regierung in Paris erkennen, daß man sich auf eine Vermittlungslösung einrichtete. Die für Januar 2013 vorgesehenen Abholzungsarbeiten wurden um ein halbes Jahr aufgeschoben, und Premierminister Ayrault kündigte die Einrichtung einer Dialogkommission an, zu der die Gegner des Flughafenbaus eingeladen wurden, allerdings unter Bekräftigung der Absicht, das Projekt durchzusetzen. Da die lokale Bürgerinitiative ACIPA verlangte, daß die Polizei sich zurückzieht und die Frage der Notwendigkeit des Flughafens grundlegend geklärt werden müsse, bestand der größte Nutzen dieses offenkundigen Vereinnahmungsversuchs der Regierung wohl darin, daß die Mediatoren sich ausbedungen, bis zum Ende der Gespräche am 31. März 2013 keine weiteren Räumungen der Zone mehr durchzuführen.
Die sich zuspitzende Entwicklung sorgt in Frankreich für erhebliches Aufsehen und hat Formen bürgerlichen wie aktivistischen Engagements hervorgerufen, die von einem neuen Geist des kollektiven Widerstands durchdrungen sind. So etwas kann in einer Bevölkerung, deren Regierung sich anschickt, die ökonomische Leistungsfähigkeit der Gesellschaft nach neoliberaler Rezeptur auf Vordermann zu bringen, sprich mehr Druck auf die Einkünfte und Rechte der Lohnabhängigenklasse auszuüben, widerständige Resonanzen und Solidarisierungseffekte erzeugen, die über den lokalen Anlaß hinausgreifen. Auch deswegen verdient La ZAD in der Bundesrepublik mehr Beachtung, als diesem Kampf bislang zuteil wurde.
Foto: John Jordan CC-BY-SA-3.0
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Fußnoten:
Als Quelle dienten unter anderem:
Rural Rebels and Useless Airports: La ZAD – Europe’s largest postcapitalist land occupation, by laronceblog – Part 1 and 2
http://labofii.wordpress.com/2012/11/13/rural-rebels-and-useless-airports-la-zad-europes-largest-postcapitalist-land-occupation/
http://labofii.wordpress.com/2013/01/18/part-2-of-rural-rebels-and-useless-airports/
Source : http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/redakt/brbe0005.html