Notre Dame Des Landes, ZAD, Oktober 2012
Bereits seit zwei Generationen bedroht ein Flughafenprojekt im Norden von Nantes 1600 Hektar Landschafts- und Ackerfläche. Nachdem das Projekt für lange Zeit in der Schwebe hing, wurde es 2011 von Lionel Jospin wieder angestoßen und wird seitdem von der Sozialistischen Partei unterstützt, insbesondere durch Jean Marc Ayrault, dem ehemaligen abgeordneten Bürgermeister von Nantes und gegenwärtigen Premierminister.
Die erdachten Gründe für den Bau des Flughafens führten auch zu dem letzten Witz, einen Flughafen mit hoher Umwelt-Qualität zu bauen. Dieses umweltschädliche Projekt ist ein Symbol für den zerstörerischen Kapitalismus, dessen einziges Ziel der finanzielle Profit ist. Zudem ist es die Frucht aus einer engen Zusammenarbeit profitgieriger Politiker*innen für Stadt-„Entwicklung“ und dem großen multinationalen Konzern Vinci, der auf destruktive Projekte spezialisiert ist (Gefängnisse, Autobahnen, Atomkraftwerke). 2008 rief ein ortsansässiges Kollektiv von sich widersetzenden Bewohner*innen dazu auf, das für das Projekt bestimmte Land zu besetzen – das „Gebiet der aufgeschobenen Bebauung“ (Zone d’Aménagement Différée). Dieser Aufruf wurde weit verbreitet und nach einem Klimaaktionscamp 2009 ist die Besetzer*innenbewegung auf diesem Stück Land, das nun zur „Zone À Défendre“ (ZAD), zur zu verteidigenden Zone, geworden ist, angewachsen. Zwischen den Bewohner*innen, die sich widersetzen, und den neuen Besetzer*innen ist Solidarität entstanden. Nun ist die Sozialistische Partei wieder an die Macht gekommen und sie ist nicht bereit, das Flughafenprojekt aufzugeben. Weiterhin zeigt sie ihre ganze Unterstützung für das Projekt, auch wenn ihre grünen Verbündeten immer noch so tun, als ob sie den bedrohten Landstrich verteidigen. Gekonnt haben diese Schönredner*innen die Presse genutzt, um uns glauben zu machen, dass das Projekt durch ein Moratorium aufgeschoben und die Gefahr der Durchführung des Projekts zurückgestellt werden würde. [1] Das ist überhaupt nicht wahr! Die Vorbereitungsmaßnahmen sind immer noch im Gange: pseudo-öffentliche Untersuchungen, Geländestudien (Bohrungen, Vermessungen). Der voraussichtliche Bauplan wurde möglicherweise, das hoffen wir, durch die Besetzung aufgeschoben, aber nicht durch das Moratorium! Auf jeden Fall bleibt die Autobahn, einleitende Maßnahme für die Betonisierung der Zone, für Anfang 2013 geplant. Wenn wir dies zulassen, ermöglichen wir den Baggern die Anfahrt, was bedeutet, vor Vinci abzudanken. Und währenddessen leert sich die ZAD immer mehr, die Enteignungen gehen weiter. Die Bewohner*innen wurden aus dem Gebiet gedrängt, um weiter weg wieder angesiedelt zu werden.
Nach und nach finden sich diejenigen, die Widerstand leisten, ohne Rechte für die Häuser, die sie seit Jahren bewohnen, teilweise sogar schon ihr Leben lang! Bezüglich der besetzten Häuser und Plätze sieht die Situation nicht besser aus. Viele sind seit Anfang 2012 offiziell von Räumung und Abriss bedroht. Und die gerichtliche Maschine folgt ihrem Kurs. So kündigte das Amtsgericht von Nantes am 27.September 2012 die sofortige Räumung von „Le Sabot“ und „Les 100 Chênes“ an. Das sind zwei unentbehrliche Orte in der ZAD; der kollektive Gemüsegarten (hervorgegangen aus einer Besetzung der Reclaim-the-fields-Bewegung) und die Bäckerei. Diese beiden Orte sind bewohnt. Anfang Oktober wurde die letzte unüberdachte Besetzung in Grandchamps ebenfalls geräumt. Jeden Tag wird die Bedrohung realer. Wir müssen reagieren! Vinci träumt davon, uns alle zu räumen, vielleicht schon morgen, und wenn wir dies zulassen, wird das Gebiet bald den Baumaschinen ausgeliefert sein!!! Auch wenn die Besetzung für uns zunächst ein Kampfmittel ist, fühlen wir uns nunmehr als Bewohner*innen dieses Gebiets. Wir weigern uns, diese Felder, Hecken und Wälder verschwinden zu sehen, die unser Lebensraum geworden sind. Hier zu leben, bedeutet, eine Zerstörung im Namen des Profits zu verweigern: von den Eichen, die uns schützen, von den Trompetenschnecken und den vielen anderen Tieren, die mit uns hier zusammenleben. Hier zu leben, heißt auch, in einem Rhythmus zu sein, der beständig gestört wird durch die Dringlichkeiten des Kampfes, den Druck, die Unsicherheit über die Zukunft und Störung durch die Polizei. Hier zu leben, ist momentan nicht so einfach mit dem kalten Winter und dem Regenwetter, das sich ankündigt. Egal ob Besitzer*in, Mieter*in oder Besetzer*in: Wir stehen alle denselben Verfahrensweisen gegenüber, ihrer „Gerechtigkeit“. Und doch …
Die ZAD ist ein Platz für alternative Erfahrungen geworden, ein Ort, an dem jeden Tag Theorie und Praxis gegenüber gestellt werden, wo neue Solidarität entsteht, wo gelernt wird, jeden Tag ein bisschen autonomer von diesem Handelssystem zu sein. Die kollektiven Gärten sind erblüht, das Wissen wird jederzeit weitergegeben. Vom Backen über Mechanik, von Bautätigkeiten bis hin zu artistischem Austausch lernen wir ohne Unterlass voneinander. Wenn wir euch also erneut dazu aufrufen, euch uns anzuschließen, dann darum, weil es sich nicht nur um ein städtebauliches Projekt handelt sondern um ein Gesellschaftsmodell, das wir nicht unterstützen. Denn dieser Kampf ist Teil eines größeren Kampfes gegen ein System, dem Menschen und der Planet völlig egal sind. An anderen Orten kämpfen andere Menschen gegen profitorientierte Systeme, gegen Herrschaft und Soziale Kontrolle, gegen die teuflische Maschine, die uns durch Technologie versklavt, um uns immer schneller und weiter von unserem Leben zu entfernen. Wir fühlen uns nicht allein in unserem Widerstand. Vom Val Di Susa in Italien bis nach Russland oder Mexiko: Gegner*innen lehnen sich gegen verhängnisvolle Anlagenprojekte auf. Im baskischen Land gegen eine weitere TGV-Linie oder in der Normandie gegen die THT-Linie – überall in der Welt gibt es ein bisschen Widerstand gegen die Gentrifizierung: Der Widerstand organisiert sich!!! Hier in der ZAD brauchen wir mehr Menschen, die sich körperlich durch Vorbereitungsmaßnahmen widersetzen, um denjenigen Kraft zu geben, die die Wahl getroffen haben, zu bleiben und Widerstand zu leisten. Die Besetzung ist kein Selbstzweck, es ist ein Mittel, präsent zu sein auf diesem umkämpften Gebiet, gemeinsam gegen dieses Projekt aktiv zu sein, um mit den anderen Bewohner*innen ein Netz der Solidarität zu entwickeln. Gemeinsam fühlen wir uns fähig zu allem, zu kämpfen gegen die Koalition politischer Macht mit ihren Polizist*innen und der wirtschaftlichen Macht mit ihrer Kohle. Momentan sind mehr als dreißig Plätze besetzt, Häuser, Buden, die in die Felder gebaut wurden, Baumhäuser und Wohnwägen, die überall verstreut sind. Es gibt noch einige leer stehende Häuser. Vinci bleibt dabei, Wohnorte zu räumen. Zwei Orte, „Les Planchettes“ und „La Gaité“ [2], können euch sofort nach eurer Ankunft aufnehmen, aber denkt daran, möglichst schnell autonom zu werden. Wenn ihr erst einmal da seid, nehmt euch die Zeit, mit den Leuten hier zu reden, um den Kampf zu verstehen. Alles ist hier möglich, wir können alles tun, aber nicht egal was und egal wie. Denkt an die zahlreichen Projekte, die bereits hier aktiv sind und seid aufmerksam gegenüber dem Empfinden und Leben von allen hier. Kommt und kämpft mit uns! Wir sind hier und wir weigern uns, zu verlieren. Dieser Aufruf wurde von einigen Besetzer*innen bzw. Bewohner*innen der ZAD verfasst. Im Postskript würden wir euch gern noch daran erinnern, dass es auch andere Wege gibt, uns zu unterstützen: Es ist möglich, auf Vinci dort zu treffen, wo er ist (mehr oder weniger überall!). Führt dezentrale Aktionen durch und lasst es uns wissen.
Eine Wiederbesetzungsdemo ist geplant als Antwort auf wahrscheinliche Räumungen, die auf uns zukommen. Seid bereit, euch uns anzuschließen! Bleibt auf dem Laufenden: https://zad.nadir.org, http://nddlagirdesobeir.noblogs.org http://acipa.free.fr Ihr könnt uns unter zad@riseup.net schreiben und euch in unseren Verteiler auf der ZAD-Seite einschreiben (klicke auf „accès“ und „contact“). Fußnoten [1] Lies auf der ZAD-Webseite den Artikel Moratorium für den Flughafen: eine Farce, die wir gar nicht lustig finden. Auszüge: „selbst das Aufschieben der Räumungen von Bäuerinnen und Bauen sowie legalen Bewohner*innen des Gebietes durch die Erklärung der Öffentlichen Nützlichkeit bis 2014 bringt keineswegs die Pläne des Staates oder des Flughafens zum Stillstand. Alles in allem ist dies eine Vereinbarung, die nicht die schweren Arbeiten oder Vorbereitungsuntersuchungen oder Enteignungen oder den Großteil der Räumungen untergräbt“.
[2] Siehe „access“ und „contact“ auf der ZAD-Webseite.