Bodenständige Basisbewegung gegen ein Megaprojekt des globalisierten Verkehrs
“Sème ta ZAD” – Manifestation in Europas größter Protestzone am 13. April 2013
“Besetzen – kultivieren – widerstehen”
Foto: © 2013 by Schattenblick
“Aussäen in La ZAD” – für den 13. April riefen die Besetzerinnen und Besetzer der “Zone A Défendre” dazu auf, gemeinsam das Landwirtschaftsjahr zu beginnen. Es ging darum, die Felder auf dem Gebiet des geplanten Aéroport du Grand Ouest zu bestellen und damit ein weiteres Zeichen “Gegen den Flughafen und seine Welt” zu setzen. Zu verteidigen sind nicht nur ein Gebiet mit Ackerland von bester Bodenqualität und ein Stück idyllischer bretonischer Landschaft. Zu verteidigen sind die Lebens- und Wirtschaftsweise der dort seit Jahrhunderten ansässigen Bevölkerung wie auch die sozialökologischen Ideale der Aktivistinnen und Aktivisten, die die von der Regierung zu einer quasi unter exekutiver Vollmacht des Ausnahmezustands verfügten “Zone d’Aménagement Différé” seit Jahren besetzt halten. Die Umwidmung dieses technokratischen Wortungetüms in ein Symbol des Widerstands, das überall in Frankreich und darüber hinaus auf positive und solidarische Resonanz stößt, ist paradigmatisch für das Aufbegehren gegen ein Europa des Kapitals, das alles und jedes sozial exklusiven und politisch repressiven Verwertungsinteressen unterwirft.
Der Bestand der ländlichen Region 25 Kilometer nordwestlich der Stadt Nantes wird seit Jahren durch den Plan der französischen Regierung bedroht, dort auf 2000 Hektar Land das Megaprojekt eines Großflughafens durchzusetzen, dessen immenser Bedarf an eigener Flächennutzung wie verkehrsinfrastruktureller Anbindung die absehbare Urbanisierung dieser archaischen Landschaft der historischen Bretagne zur Folge hätte. Dies soll ungeachtet des bereits vorhandenen und ausbaufähigen Flughafens in unmittelbarer Nähe von Nantes erfolgen, um den industriellen Aufbau der maritimen Metropolregion Nantes-St. Nazaire sicherzustellen und die Hauptstadt Paris als Ziel des transatlantischen Luftverkehrs zu entlasten.
Botschaft und Werkzeug
Foto: © 2013 by Schattenblick
In Anknüpfung an die Räumung der größten Protestzone Europas durch Sondereinheiten der Polizei Mitte Oktober und ihre Wiederbesetzung Mitte November letzten Jahres, die mit Unterstützung von bis zu 40.000 Menschen aus der Region und ganz Frankreich erfolgte, sollte nun in einem etwas kleineren Maßstab der urtümliche Zweck des Landes, seine auf denkbar naturfreundliche Weise agrarisch genutzte Bewirtschaftung, wiederum im kollektiven Rahmen zelebriert werden. An zwei Punkten außerhalb der Zone sammelten sich die Menschen, versehen mit Saatgut und Ackerwerkzeug, um Demonstrationszüge zu bilden und an deren Zielort auf die Felder auszuschwärmen.
Die Polizei hielt zwar einige der Straßensperren besetzt, die den Zugang zur Zone erschwerten und zur Durchführung von Personenkontrollen dienten, zeigte sich jedoch ansonsten von ihrer besten Seite: Sie glänzte durch Abwesenheit. Dies war nach übereinstimmender Meinung der vom Schattenblick befragten Demonstrantinnen und Demonstranten der Strategie geschuldet, nach der großen Brutalität, mit der sie im November gegen die erfolgreiche Wiederbesetzung der Zone vorging, in Anbetracht der Anwesenheit diverser Medienvertreter den Eindruck zu erwecken, sie setze auf Deeskalation.
An der Straßenkreuzung Ardillières zeigt sich die ganze Breite des sozialen Widerstands, der sich in dieser entlegenen Region Frankreichs formiert. Menschen aller Altersgruppen mit eher bürgerlichem Hintergrund mischen sich mit jungen Aktivistinnen und Aktivisten, die in ihrem ausgefallenen Outfit ebenso auf dem Syntagma-Platz in Athen wie im Klimacamp in London oder auf einer Demonstration gegen die Austeritätspolitik der EU in Madrid anzutreffen sein könnten. Mit Rucksäcken bepackt, Schaufel oder Spaten über der Schulter, mit Gummistiefeln und Regenzeug gewappnet gegen feuchtes Wetter und sumpfiges Gelände, zieht die gut 700 Menschen starke Demonstration los, um dem wohl friedlichsten Zweck menschlicher Existenzsicherung nachzugehen. Die fünf Polizeiwagen, die den Demonstrationszug bei Ardillières erwarteten, verließen die Kreuzung schnell, was in Anbetracht von Transparenten, die von einem “Bauernaufstand” kündeten und mit der Parole “Kein Land ohne Krieg” die Entschlossenheit seiner Verteidiger unterstrichen, verständlich war.
“Kein Land ohne Krieg”
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Auf dem Weg kommt man trotz der Sprachbarriere leicht ins Gespräch. In Ermangelung guter Französischkenntnisse ist der SB-Redakteur auf die englische Sprache angewiesen, die zum wenn auch radebrechenden Informationsaustausch allemal reicht. Die meisten der Gesprächspartnerinnen und -partner kommen direkt aus der Region oder verstehen sich, wie etwa ein junger Mann aus St. Malo, als Bretonen, die sich dem Kampf ihrer Landsleute verbunden fühlen. Einige junge Mitgliederinnen und Mitglieder der französischen Grünen aus Limoges hat das Interesse am ökologischen Widerstand nach La ZAD gezogen. Sie lassen an der eigenen Partei kein gutes Haar, ist deren Haltung zum Bau des Großflughafens doch negativ von ihrer Position als Regierungspartei beeinflußt.
Überhaupt ist von Parteien so gut wie gar nicht die Rede, wenn es nicht gerade um die Parti Socialiste geht, die mit Jean-Marc Ayrault den Hauptinitiator des Flughafenprojekts zum Premierminister Frankreichs gemacht hat. Die politische Klasse bis hin zu den Linksparteien, die zwar zu der Aktion aufgerufen haben, aber keine Präsenz zeigen, scheint in den Augen der lokalen Bevölkerung abgewirtschaftet zu haben. Man baut auf die Stärke der eigenen Aktion und Organisation, anstatt sich durch politische Interessenvertreter, wie schon so oft bei derartigen Kämpfen geschehen, verschaukeln zu lassen. Lediglich die Bauerngewerkschaft Confédération Paysannes steht in besserem Ansehen, versichert doch ein Demonstrant, daß ein Angriff der Polizei auf einen der zahlreichen Traktoren des Demonstrationszuges landesweite Proteste der Gewerkschaftsmitglieder hervorrufen würde.
Ein junger Mann aus einer der umliegenden Ortschaften berichtet vom gewalttätigen Vorgehen der Polizei im November. Er selbst habe, wie zahlreiche andere Aktivistinnen und Aktivisten, einen schweren Bluterguß von einem Gummigeschoß davongetragen, das auf ihn abgefeuert wurde. Eine Frau habe einen Zeh verloren bei dem Versuch, eine Schockgranate in den Boden zu treten, die daraufhin explodierte. Die Polizisten hätten auch mit diesen Waffen, deren Schrapnellwirkung lebensgefährlich sein kann, direkt auf die Zadistas gehalten, obwohl sie nur in die Luft abgefeuert werden dürfen. Das massiv eingesetzte Tränengas, dessen Geruch an einigen Stellen noch fünf Monate später deutlich wahrzunehmen ist, habe ganze Äcker vergiftet und die Einrichtung eines Hauses, in dem die Zadistas schliefen, unbrauchbar gemacht.
Kampfansage an Vinci
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Der junge Aktivist lebt vegan und hat daher einige Vorbehalte gegen die Tierzucht der örtlichen Bauern. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, Seite an Seite mit den Landwirten gegen die Polizei zu kämpfen, sei doch der gemeinsame Widerstand wichtiger als Differenzen um die eigene Lebensweise. Überhaupt trifft man immer wieder auf Belege für eine gelebte Solidarität, die von der anfänglichen Distanz, mit der die einheimische Bevölkerung den radikalökologischen Zadistas zunächst gegenüberstand, nichts mehr übrig gelassen hat. Nach der Räumung im Oktober und dem aggressiven Zurückschlagen der Polizei im November steht die Bereitschaft der Bauern, ihr Land mit Barrikaden und Wurfgeschossen zu verteidigen, dem der Zadistas in nichts nach. Daß sie mit ihren Treckern über Maschinen verfügen, mit der sich in kurzer Zeit Erdwälle auftürmen lassen oder die sich selbst der anrückenden Polizei in den Weg stellen können, ist für die Verteidigung der Zone nicht minder wichtig als ihr Rückhalt in der immer noch großen bäuerlichen Bevölkerung Frankreichs.
Der Vater des jungen Aktivisten, ein pensionierter Eisenbahnbeamter, schimpft derweil auf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die er maßgeblich für das Spardiktat in der EU und die neoliberale Politik seiner Regierung verantwortlich macht. Während er sich auf eher konventionelle Weise mit den politischen Widersprüchen der Zeit auseinandersetzt, ist sein Sohn begeistert vom utopischen Charakter der Besetzung und der Vorbildfunktion, die sie für andere Proteste und zukünftige Lebensformen haben könnte. Das einander ergänzende Nebeneinander unterschiedlicher Protestkulturen und Lebensweisen mag Konflikte aller Art in sich bergen, als bereits praktizierter Entwurf einer anderen Gesellschaft verfügt es jedoch über ein visionäres Potential, das dem Entfremdungscharakter der kapitalistischen Vergesellschaftung weit mehr an aktiver Gegenpositionierung abgewinnt als der bloß theoretische Anspruch, die Grenzen der herrschenden Verhältnisse überwinden zu wollen.
“Dorf in Gefahr, Vinci deportiert die Bevölkerung”
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Mit wem auch immer ein Gedankenaustausch auf der Demonstration stattfindet, so steht allerdings die Sorge um die ökologische Zukunft des Planeten ganz im Vordergrund der Motive, die die Menschen zum Widerstand gegen den geplanten Großflughafen veranlassen. Alle daraufhin Befragten bestätigen, daß der weitaus größere Teil der lokalen Bevölkerung gegen das Flughafenprojekt eingestellt sei. Die weitere Versiegelung natürlichen Bodens durch einen Flughafen und seine Zubringerstraßen wie die darauf folgende Urbanisierung der Region wird als Angriff nicht nur auf die eigene Lebensweise, sondern das Leben überhaupt empfunden. So häufen sich die Proteste gegen Großprojekte der Verkehrsinfrastruktur wie etwa der Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke der Eisenbahn vom französischen Lyon zum italienischen Turin, die vor allem dem Interesse des Langstreckenverkehrs gewidmet sind, während regionale Transport- und Umweltinteressen im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder kommen. So erweist sich auch in La ZAD das Verhältnis von lokaler Subsistenz zu globaler Expansion als völlig einseitig auf eine weltumspannende Mobilität der Waren und Menschen ausgerichtet, die nur makroökonomische Profit- und Wachtstumsziele im Blick hat, während das unmittelbare Leben von Mensch und Natur demgegenüber keine Stimme erhält.
Orientierung in unübersichtlichem Gelände
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Hofbesetzung von Bauerngewerkschaft unterstützt
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Am Zielort der Demonstration, dem bereits enteigneten und von Bauern wiederbesetzten Hof Bellevue, wird den belegten Baguettes und anderen Produkten der Region kräftig zugesprochen, um für die nun anstehende Feldarbeit gewappnet zu sein. Der Hof ist ein Zentrum des bäuerlichen Widerstands, und es dauert nicht lange, bis der SB-Redakteur auf Mitgliederinnen und Mitglieder der dafür gebildeten Organisationen trifft. Während die Association de Défense des Exploitants Concernés par l’Aéroport (ADECA) bereits seit den 1970er Jahren besteht und insbesondere den bäuerlichen Widerstand repräsentiert, umfaßt die Association Citoyenne Intercommunale des Populations concernées par le project d’Aéroport de Notre Dame des Landes (ACIPA), die mit der Wiederaufnahme des Planungsverfahrens in der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts gebildet wurde, breitere Teile der regionalen Bevölkerung, die sich gegen den Flughafen stellen. Anne-Marie Chabod, stellvertretende Präsidentin und Sprecherin von ACIPA, stellt sich dem Schattenblick für ein Interview zur Verfügung und übersetzt für ausschließlich französisch sprechende Gesprächspartner. Auch bietet eine Französin, die lange in Deutschland gelebt hat, ihre Hilfe an, die dankend angenommen wird.
Urbar gemacht mit den Mitteln des Urwalds
Fotos: © 2013 by Schattenblick
Während diese Demonstration mehr von den bäuerlichen Aktivistinnen und Aktivisten der Region geprägt zu sein scheint, wird der andere Zug eher vom Bild der Zadistas bestimmt. Um die 800 Menschen mögen es wohl sein, die sich vom südlich der Zone gelegenen La Paquelais her in Bewegung setzen. Regenschauer und Wind, mit denen dieser Tag nicht spart, haben sie nicht daran gehindert, dem Aufruf zur Aussaat zu folgen. Traktoren ziehen Anhänger mit Setzlingen, Dünger und Arbeitsgerät, Radio Klaxon beginnt über Lautsprecher zu senden, alte Revolutionslieder mischen sich mit den Klängen einer Perkussionsgruppe, die sich an den Kopf des Zuges setzt. Transparente und eine weitere Musikgruppe folgen, dazwischen und drumherum Leute verschiedenster Herkünfte und Generationen, bewaffnet mit Forken und Spaten, gummistiefelgerüstet gegen Pfützen und Schlamm.
Auf dem Weg in die Zone
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Bald trifft der Zug auf die erste Barrikade, schlängelt sich um die Hindernisse herum. Allenthalben Spuren früherer Kämpfe wie auch Zeugnisse der Wiederbesetzung. Linkerhand der kollektiv betriebene Garten La Chevrerie und die Anbaufläche Les Cent Noms, rechts folgt wenig später die bei der letztjährigen Räumung zerstörte und seitdem von CS-Gas kontaminierte Gemüsefarm Le Sabot. Sie war das Zentrum einer internationalen Bewegung junger Bauern, die sich unter anderem in der Organisation Reclaim The Fields zusammengeschlossen hatten, um auf selbstbestimmte und antikapitalistische Weise zu leben und zu arbeiten.
Hinweisschilder zeigen den Zugang zu verschiedenen Behausungen, zahlreiche Barrikaden belegen die Verteidigungsbereitschaft der Zadistas. Auf den Feldern liegen noch Zeugnisse der jüngsten Kämpfe wie improvisierte Schilder zum Schutz gegen Gummigeschosse und Schockgranaten, einige Tennisschläger erinnern an den Versuch, die Aufschläge der Polizei auf sportliche Weise zu retournieren. Diese schmale Landstraße und die angrenzenden Felder, Hecken und Baumbestände sind lebendige Geschichte, geschrieben bei der Verteidigung der Zone, der an diesem Tag ein neues Kapitel hinzugefügt wird.
Subversiv in Wort und Tat
Foto: © 2013 by Schattenblick
Etwa zehn Minuten später erreicht der Zug die Ruinen des alten Versammlungsortes Les Planchette, wo die Kundgebung abgehalten wird. Kämpferische Ansprachen der Initiatorinnen und Initiatoren von “Sème ta ZAD”, dazwischen eine Solidaritätsadresse der Koordination der indischen Bauernbewegung. Auf den Aufruf, am 27. April in Avignon das Ackerland zu besetzen, das durch ein Straßenprojekt bedroht wird, folgt die Ankündigung der Menschenkette, die die Zone am 11. Mai weitgespannt als Zeichen des Protestes gegen den Flughafen umfassen soll. In der ersten anfeuernden Ansprache heißt es:
Bauern, Bäuerinnen, landwirtschaftliche Kollektive von hier und anderswo, Freunde und Freundinnen im Kampf, Säer und Säerinnen der Revolte! Mit den Werkzeugen fest in der Hand kommen wir heute zusammen, um die Erde zu verteidigen und zu bebauen, die der Staat und Vinci zerstören wollen.
Die Aktion “Sème ta ZAD!” versteht sich als Fortsetzung der Wiederbesetzung am 17. November. Sechs Monate nach den Räumungen, bei denen 19 Häuser und Hütten zerstört worden sind, wurden über 30 neue Unterkünfte wiederaufgebaut. La ZAD und der Kampf gegen den Flughafen, der sich auf mehr als 200 lokale Unterstützergruppen stützt, sind heute lebendiger denn je. Seit dem Zeitpunkt, an dem die sogenannte Dialog-Kommission (…) ihre Unterstützung für den Bau des Flughafens offengelegt hat, ist “Sème ta ZAD!” unsere Antwort, unser Gegenschlag, um fortzufahren, ihnen eine Niederlage zu bereiten. (…)
Wir bauen auf, wo sie zerstören, wir bauen an, wo sie betonieren wollen, das ist unsere Art zu kämpfen und das ist das, was wir heute gemeinsam tun werden! “Sème ta ZAD!” ist auch eine Art, in die Zukunft zu schauen und sich vorzustellen, wie die Zone nach der endgültigen Aufgabe ihres nutzlosen und aufgezwungenen Projekts aussehen wird. Denn wir kämpfen gegen einen Flughafen, aber auch gegen die dazugehörige Welt. (…)
Mit “Sème ta ZAD!” wollen wir ab heute den Boden vergemeinschaften, wir nehmen uns das Land, und wir behalten es! (…) Überall dort, wo sie das Land verplanen, wo sie modernisieren, wo sie betonieren und urbanisieren, organisieren wir uns. Weil unsere Welt nicht die ihre ist; und weil sie die Wüste säen, werden sie die Revolte und den Kampf ernten. [1]
Ende der Staatsmacht
Fotos: © 2013 by Schattenblick
Wenngleich diese Kunde weit über die Zone hinaus überall dort gehört werden soll, wo derselbe Kampf geführt wird, sind die bürgerlichen Medien dafür weder ein geeigneter noch ein erwünschter Transporteur. Sie verzerren, entfremden und verschweigen erfahrungsgemäß allzu sehr, weshalb viele Aktivistinnen und Aktivisten zu ihnen ein eher gespanntes Verhältnis haben. Zwischen notwendiger Öffentlichkeitsarbeit und massenmedialer Zurschaustellung verläuft ein schmaler Grat, auf dem eine durchaus parteiliche Berichterstattung versuchen kann, den Schaden fremder Einblicke zu minimieren und zur Mobilisierung beizutragen.
Wunsch und Erfordernis, nach den Ansprachen lange zu debattieren, besteht nicht. Heute geht es nicht um eine Massendemonstration, sondern um eine kollektive Aktion: Kleine Gruppen verteilen sich mit Hilfe eines Übersichtsplans schnell auf diverse neue landwirtschaftliche Projekte in der Zone, um tatkräftig Hand anzulegen. Leute mit Arbeitsgerät auf der Schulter, die von hier nach dort wandern, prägen denn auch das Bild in den folgenden Stunden. Frei von Druck und Zwang, unkontrolliert und eigeninitiativ, wird umgegraben und gejätet, gesät und gepflanzt. Niemand fragt nach Lohn und Leistung, denn wo freie Hände Erstaunliches schaffen, hat die fremdnützige Arbeitsgesellschaft ausgedient.
Wegweiser für Unerschrockene
Foto: © 2013 by Schattenblick
Wo so viele Menschen aufeinandertreffen und kein Regime von Befehl und Anordnung die Schritte lenkt und die Taktfolge diktiert, sind für gewöhnlich Reibung und Zank, Mißachtung und Mißlichkeit geradezu vorprogrammiert. Nicht so an diesem Tag in La ZAD, der sich durch gleichgesinnte Offenheit, zugewandte Begegnung und bemühte Hilfe auszeichnet. Frei nach einem Leitsatz der Zapatisten schreitet auch das Schattenblick-Team fragend voran, findet gesuchte Orte und kundige Gesprächspartner, und selbst wenn das nicht immer auf Anhieb gelingt, liegen doch dafür andere Treffen, Überraschungen und bemerkenswerte Eindrücke auf der Strecke. Kann jemand den gewünschten Weg nicht weisen, studiert man gemeinsam auf der vervielfältigten Handkarte, wo in dem weitläufigen Gelände sich das Ziel befinden könnte. Wann haben wir je derart viele Leute auf Straßen oder Trampelpfaden, Knüppeldämmen oder Bretterbrücken im Vorübergehen gegrüßt, die wildfremd zu nennen uns bald nicht mehr eingefallen wäre? Nicht nur, daß fremde Gesichter auf vielfach einander kreuzenden Wegen zu bekannten wurden, vielmehr noch wußte und spürte man voneinander, was über alle Unterschiede hinweg das verbindende Anliegen war.
Wildwuchs der Lebensstile und Bauformen
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Ein Teilnehmer des südlichen Demonstrationszuges, der selber Journalist ist, erläutert ausführlich den Hintergrund der heutigen Aktion in der Zone, die er in den Kontext umfassender ökologischer und sozialer Kämpfe stellt. Eine Gruppe aus St. Malo läßt für einen Augenblick Hacke und Spaten ruhen, um uns am Rand des frisch umgegrabenen Beetes zu erzählen, was sie hierhergeführt hat. Mit mehreren jungen Leuten, die wir in der Begegnungsstätte La Chataigne antreffen, sprechen wir über ihren Wunsch, der Umweltzerstörung etwas entgegenzusetzen und den Flughafenbau zu verhindern. Eine Aktivistin, die mit ihrer Familie dauerhaft in der Zone lebt, berichtet von den tagtäglichen Schikanen an den Polizeiposten, dem Druck befürchteter Angriffe und Vertreibungen, dem Ringen um gemeinsame Positionen im breiten Spektrum der Besetzerinnen und Besetzer.
BäuerInnen und SquatterInnen vereint gegen das Kapital
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Ein 66 Jahre alter Teilnehmer berichtet, daß er im letzten Herbst von der Polizei festgenommen worden sei, als er zusammen mit anderen Personen der Aufforderung nicht nachkam, ein besetztes Areal zu verlassen. Am 24. Januar sei er nach Artikel 431 des Strafgesetzbuches dazu verurteilt worden, der zum Sperrgebiet erklärten Zone ein Jahr lang fernzubleiben. Bei Zuwiderhandeln drohten ihm eine einjährige Haftstrafe sowie 15.000 Euro Geldstrafe. Er sei dennoch gekommen, was er als einen Akt des Widerstands bezeichnet. Der Konzern Vinci sei so einflußreich und verfüge über immense finanzielle Mittel, daß er sogar Wahlergebnisse beeinflussen könne. Er selbst bezeichnet sein Gewissen als seine einzige Kraft, den Kampf gegen diesen Giganten zu führen. Sein Vater habe 1940 in der Resistance gegen die deutsche Besatzung gekämpft, und für ihn selbst sei es im Prinzip nicht anders. Er befinde sich seit 25 Jahren zum dreizehnten Mal im Kampf gegen die Republik.
Nichts von dem, was wir hier erleben und erkunden, ist geschenkt und in den Schoß gefallen. So reizvoll die alte bäuerliche Kulturlandschaft auch sein mag, ist dies doch kein Ort der Sonntagsspaziergänge saturierter Bürgerlichkeit, die ein verklärter Blick zur Idylle verfremden mag. Gegen die Zerstörung durch eine hochtechnologische Maschinerie und Verwertung leisten hier Menschen bei Wind und Wetter unter schlichtesten Lebensverhältnissen Widerstand, die nicht selten mit beiden Beinen im Schlamm stehen. Ihr Verzicht auf gesicherte Existenz und Komfort, ihre Absage an sozial kompatible Lebenswege und ihr persönliches Einstehen für die zu schaffende künftige Gesellschaft verleihen ihrem Kampf Authentizität. Dies mag zur Erklärung beitragen, warum sich La ZAD zur größten Protestzone Europas entwickelt hat.
“Wir sind eine Armee der TräumerInnen und daher unbesiegbar”
Foto: © 2013 by Schattenblick
Ohne die Ergebnisse der demnächst an dieser Stelle zu publizierenden Interviews vorwegzunehmen, läßt sich doch sagen, daß nicht nur die Entschiedenheit des bäuerlichen Widerstands beeindruckend ist, sondern auch die Bereitschaft der Landwirte, sich für ökologische Formen des Landbaus zu interessieren. Der langjährige Kampf um ihre Felder und Höfe hat nicht nur zu einem kritischen, um nicht zu sagen antiautoritären Verhältnis zur Staatsgewalt geführt, er hat auch Denkprozesse in Gang gesetzt, die die Bewahrung als angeblich ineffizient verworfener Praktiken der Feldbewirtschaftung wie die Überwindung agrarindustrieller wie gentechnischer Übergriffe seitens transnationaler Landwirtschafts- und Saatgutkonzerne zum Gegenstand haben. Im Kern geht es um die Autonomie der Ernährung, um den Zugriff der Menschen selbst auf die essentiellen Voraussetzungen ihrer Reproduktion. Dieses Thema ist von einer für die Zukunft einer Menschheit, die schon jetzt ein Sechstel ihrer Zahl zum Hungern verurteilt, kaum zu überschätzenden Bedeutung.
Auch von daher kommt der Aussaat in La ZAD mehr als eine symbolische Bedeutung zu. Die kollektive Selbstorganisation, die wie von einer unsichtbaren, nun nicht mehr von einem numinosen “Markt”, sondern diesen ausschließenden Subjektivität gelenkten Hand überall sichtbare Spuren hinterläßt, widerlegt das neoliberale Dogma von der Alternativlosigkeit einer auf Überlebenskonkurrenz basierenden Produktionsweise. Zweifellos lassen sich die gesellschaftlichen Widersprüche nicht aufgrund einer Ausnahmesituation eliminieren, doch bringt das gemeinsame Bemühen um eine andere Wirtschafts- und Lebensform Qualitäten des Miteinanders hervor, die unter den alltäglichen Bedingungen metropolitaner Monadenexistenz nicht entfernter sein könnten. Dies gilt insbesondere im Widerstreit mit herrschenden Verhältnissen, die unmißverständlich klar machen, daß der Mensch als Produzent und Verbraucher zu funktionieren hat, wie es die Erfordernisse einer auf fremdbestimmte Arbeit und normierten Konsum abonnierten Produktionsweise verlangt.
“Toutes directions” auf ZADistisch
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Als sich die Nacht über La ZAD senkt und die Menschen an vielen verschiedenen Orten zusammenkommen, um über die Ereignisse des Tages zu reden oder einfach nur zusammenzusitzen, um zu essen und zu trinken, zu musizieren und zu tanzen, erscheint die postkapitalistische Utopie mit Händen greifbar. Die freundliche Aufnahme, die jeder hier erhält, der sich nicht, wie einige Medienvertreter, hinter großen Kameras und bauschigen Mikrofonen verschanzt, die große Hilfsbereitschaft, die bei jedem Problem präsent ist, und die Abwesenheit der Staatsgewalt erfüllen die Atmosphäre mit einer spontanen Lebensfreude, die nicht begründet und verortet werden muß, um zu wissen, daß sie ein unmittelbarer Ausdruck gelebter Freiheit ist. Der schöpferische Mut, der in der Wiederbesetzung der Zone im November auf elementare Weise Zeugnis von der Möglichkeit ablegte, gemeinsam soziale und gesellschaftliche Grenzen zu überschreiten, trat auch am 13. April allerorten hervor, um zu zeigen, daß Unterwerfung kein Schicksal ist, während nichts realer und erfüllender sein könnte, als Widerstand gegen demütigende, erniedrigende und lebensvernichtende Praktiken zu leisten.
Source : http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0014.html